1. Einleitung und Überblick
Die Baubranche in Deutschland stellt einen der wichtigsten Wirtschaftszweige der deutschen Volkswirtschaft dar und ist ein integraler Bestandteil der Wirtschaft, der ein breites Spektrum an Aktivitäten umfasst. Diese reichen von der Planung und Ausführung bis hin zur Modernisierung von Wohngebäuden und spezialisierten Projekten wie Großanlagen oder Verkehrsinfrastruktur. Die Branche trägt signifikant zur Wirtschaftsleistung bei, indem insgesamt 11% des Bruttoinlandsproduktes für Baumaßnahmen aufgewendet werden, was ihre Bedeutung sowohl für die Planung und Realisierung als auch für die Modernisierung der Infrastruktur unterstreicht.
Im Zentrum der Branche steht das Bauhauptgewerbe, das sich vorrangig mit der Errichtung von Rohbauten im Hoch- und Tiefbau beschäftigt, sowie das Ausbaugewerbe mit Unternehmen, die im Bereich der Bauinstallationen sowie Abriss, Renovierung und Instandsetzung tätig sind.
Abbildung 1: Bauvolumen 2022 nach Produzentengruppen (DIW Berlin: Bauvolumen 2022 nach Produzentengruppen)
Für 2023 rechnet das DIW nochmals mit einer leichten nominalen Erhöhung des Bauvolumens auf 565,3 Mrd. Euro (+ 6,1 %), das sich auf die verschiedenen Baubereiche wie folgt verteilt:
Abbildung 2: Übersicht der Segmente und deren Bauvolumen
Preisbereinigt ist das Bauvolumen bereits seit 2021 rückläufig (- 2,2 % in 2022). Entsprechend gesunken ist auch die Kapazitätsauslastung; sie lag Ende des Jahres 2023 über alle Bereiche nur noch knapp unter 70 % (gemessen an der saisonüblichen Maschinenauslastung).
Trotz des herausfordernden wirtschaftlichen Umfelds und der Veränderungen in der Branche bleibt das Bauhauptgewerbe mit 6,2 % der gesamten Bruttowertschöpfung und rd. 928.000 Beschäftigten in rd. 80.000 Betrieben (jeweils 2023) ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Dabei arbeiten rd. 60 % der Beschäftigten in Betrieben mit max. 50 Mitarbeitern. Im Baugewerbe insgesamt waren 2022 rd. 2.236.000 Personen in 321.700 Betrieben beschäftigt. Die Baubranche in Deutschland beweist somit ihre zentrale Rolle in der Volkswirtschaft und unterstreicht die Bedeutung von Baumaßnahmen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und Infrastruktur.
Die Verteilung der Baubetriebe in Deutschland korrespondiert eng mit der Bevölkerungsverteilung. In Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte, wie dem Ruhrgebiet in Nordrhein-Westfalen oder den Ballungsräumen Bayerns und Baden-Württembergs, ist die Konzentration der Baubetriebe am höchsten. Dies zeigt, dass der Wohnungsbedarf und die Anzahl der Baubetriebe positiv korreliert sind, während in den dünner besiedelten Regionen Ost- und Norddeutschlands weniger Baubetriebe zu finden sind.
Das Baugewerbe zeichnet sich durch eine geringe Marktkonzentration und eine starke Fragmentierung aus, was durch den Unikatcharakter von Gebäuden, niedrige Markteintrittsbarrieren und den regional begrenzten Aktionsradius bedingt ist. Große Baukonzerne wie Strabag und Hochtief sind zwar präsent, doch dominieren kleine und mittlere Unternehmen (KMU) den Sektor.
2. Aktuelle Herausforderungen und Trends
Das Baugewerbe steht aktuell vor einer Reihe von Herausforderungen und Trends, die sowohl durch makroökonomische Faktoren als auch durch interne Branchendynamiken getrieben werden. Diese Entwicklungen haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Kostenstruktur, die Nachfrage nach Bauleistungen und die Art und Weise, wie Bauprojekte geplant und umgesetzt werden.
Die von der Europäischen Zentralbank eingeleitete Zinswende, die den Leitzins betrifft, und eine anhaltende Inflationsrate, die im Januar 2024 bei +2,9% lag, haben zu einer sinkenden Immobiliennachfrage geführt. Die hohen Leitzinsen von 4,5% beeinflussen die Finanzierungsbedingungen und damit direkt die Baubranche, insbesondere den Wohnungsbau. Hinzu kam der Kaufkraftverlust der Haushalte auf Grund eben dieser gestiegenen Inflation.
Ein wesentlicher Treiber der Branche sind die Preise für Rohstoffe und Energie. Der Erzeugerpreisindex für Sand und Kies ist in Deutschland seit 2005 kontinuierlich von 81 Basispunkten auf 138 gestiegen. Auch die Holzpreise erreichten 2021 aufgrund eines Nachfrageanstiegs sowohl im Inland als auch international und Problemen in der Rohstoffversorgung einen Höhepunkt. Nach einem Rückgang bis Juni 2023 verzeichnen sie nun wieder eine steigende Tendenz, bedingt durch die Entspannung der Energiepreise und Inflationsraten. Insgesamt hat der Baupreisindex seit dem Ausbruch der Coronapandemie und der darauffolgenden Energiekrise stark zugenommen.
Abbildung 3: Baupreisindizes für Wohngebäude und Straßenbau
Allerdings hat sich der Preisanstieg zuletzt stark abgeflacht. Lagen die Preissteigerungen in den Jahren 2021 und 2022 im Durchschnitt bei rd. 15 % (ggü. dem jeweiligen Vorjahresquartal) ging der Wert in 2023 auf rd. 8,5 % zurück; in 2024 wird sogar mit absoluten Preisrückgängen gerechnet. Dies wird nach Prognosen zu einem Rückgang der Baupreise führen, obwohl mit steigenden (insbesondere regulatorischen) Anforderungen an die Bauausführung und spürbaren Lohnkostensteigerungen nach Tarifverhandlungen, Mindestlohnerhöhungen und auf Grund des Fachkräftemangel durchaus mit gegenläufigen Effekten zu rechnen ist.
Der Wohnungsbau, der rd. 57 % der gesamten Bauinvestitionen ausmacht, hat in der Vergangenheit von der expansiven Geldpolitik profitiert und einen Aufschwung erlebt. Allerdings hat die Zinswende die Bedingungen verändert, was zu einem Rückgang der Baugenehmigungen, Auftragseingänge und Wohnungsfertigstellungen führen dürfte.
Abbildung 4: Auftragseingang im Bauhauptgewerbe
Die Baugenehmigungen sind seit Jahresbeginn 2022 regelrecht eingebrochen: im Herbst 2023 lagen sie knapp 40 % unter den Höchstwerten der Jahre 2021/2022. Hinzu kommt eine hohe Zahl an Wohnungen, die zwar genehmigt, aber noch nicht begonnen wurden, da sich die Finanzierung vielerorts nicht mehr rechnet. Dies wird sich belastend auf die neue Bautätigkeit und Kapazitätsauslastung der kommenden Jahre auswirken, wenn die bestehenden Aufträge zunehmend abgearbeitet sein werden.
Abbildung 5: Monatlich genehmigte Wohnungen
Stabilisierend wirken sich Bestandsmaßnahmen (insbesondere Sanierungen und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz) aus, da diese in der Regel “kleinteiliger” und nicht so stark von den steigenden Finanzierungskosten betroffen sind, da sie in der Regel aus dem Eigenkapital der Haushalte erbracht werden können.
Der gewerbliche Wirtschaftsbau und der öffentliche Bau konnten auch in 2023 nominal wie real weitere Steigerungen im Bauvolumen verzeichnen, Hat aber noch nicht wieder den Höchststand des Jahres 2021 erreicht. Zwar spielen hier die erschwerten Finanzierungsbedingungen eine geringere Rolle als beim Wohnungsbau. Im Wirtschaftsbau wirkte sich aber die schwache gesamtwirtschaftliche Entwicklung und in beiden Bereichen der zunehmende Trend zur Heimarbeit dämpfend aus. Entsprechend ist die Zahl der Baugenehmigungen für Büro- und Verwaltungsgebäude seit 2020 kontinuierlich zurückgegangen.
Im Gegensatz zu diesen Entwicklungen befindet sich der Tiefbau weiterhin im Aufwind. Hier schlagen der wachsende Bedarf an Infrastrukturausbau, Investitionen in die Mobilität- und Energiewende und besonders die Großaufträge der Bahn durch; auch im Straßenbau zeigt der Trend nach oben, wenn auch mit deutlich schwächere Dynamik. Insgesamt konnte der Tiefbau im Jahre 2023 ein Wachstum von nominal 0,5 % und real 2,6 % erzielen; für das laufende Jahr wird weiteres, wenn auch geringeres Wachstum erwartet.
3. Zukunftsprognosen
Aufgrund der bestehenden Belastungsfaktoren ist es nicht verwunderlich, dass sich das Geschäftsklima im Bauhauptgewerbe Über das Jahr 2023 durchgängig verschlechtert hat.
Erst in den letzten Monaten ist eine leichte Stabilisierung zu erkennen; insgesamt ist der Wert aber weiterhin deutlich negativ.
Abbildung 6: Ifo-Geschäftsklimaindex für das Bauhauptgewerbe in Deutschland (Ifo- Geschäftsklimaindex Für das Bauhauptgewerbe in Deutschland (saisonbereinigt))
Auch die Statistik des DIW zu den Eckwerten der Entwicklung des Bauvolumens zeigen eine mögliche Stabilisierung auf niedrigem Niveau im laufenden Jahr und eine Rückkehr zum Wachstum im Jahre 2025 auf. Ausgenommen ist aber der Wohnungsbau, der im Jahre 2024 nominal wie real weiter schrumpfen soll und erst im 2025 eine leichte Erholungstendenz zeigt.
Abbildung 7: Bauvolumenrechnung vom Statistischen Bundesamt
Eine stagnierende Wirtschaftslage und die Verschärfung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank wirken sich negativ auf den Wohnungsbau aus. Die reduzierte Anzahl an Baugenehmigungen signalisiert ein potentielles Risiko für zukünftige Auftragslagen. Umgekehrt dürften belebende wirtschaftliche Rahmenbedingungen angesichts des hohen Bedarfes an Baumaßnahmen schnell wieder zu besseren Umsätzen und Ergebnissen bei den Betrieben des Baugewerbes führen. In jedem Fall bieten staatliche Förderprogramme und öffentliche Investitionen in die Infrastruktur neue Umsatzchancen und wirken sich stützend aus.
4. Konsequenzen für die Unternehmensbewertung
Für die Bewertung von Unternehmen der Baubranche ergeben sich hieraus folgende Konsequenzen:
- Bedeutsam ist die Frage in welchem Bereich des Baugewerbes das Unternehmen tätig ist, da sich die einzelnen bereits in der Vergangenheit unterschiedlich entwickelt haben und auch künftig entwickeln werden. Unternehmen die allein im Wohnungsbau tätig sind (und auch nicht in andere Bereiche diversifizieren können oder wollen), dürften hier deutlich schlechter abschneiden als beispielsweise Unternehmen im öffentlichen Bau oder Tiefbau-Unternehmen.
- Die steigenden Kosten für Rohstoffe und Energie, erhöhte Finanzierungskosten durch die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und die Auswirkungen der Pandemie haben zusammen mit der verschärften Inflation die Nachfrage im Wohnungsbau spürbar reduziert. Diese Entwicklungen dämpfen die Wachstumsaus-sichten und signalisieren ein verlangsamtes Branchenwachstum mit moderaten Umsatzzuwächsen in den nächsten Jahren.
- Besondere Bedeutung ist daher der Plausibilisierung der konkret geplanten Umsatzerlöse, der Material- und Personalkosten und der daraus resultierenden Margen beizulegen. Zu untersuchen ist die Abhängigkeit der (potentiellen) Auftraggeber von den Entwicklungen auf den Kreditmärkten, die Entwicklung der Material- und Lohnkosten (einschließlich der Möglichkeit, Kostensteigerungen an die Auftraggeber weiterzugeben) und die Verfügbarkeit entsprechender maschineller und personeller Kapazitäten.
- Bei Unternehmen, deren Geschäftsmodell abhängig ist von dem (Fort-) Bestand bestimmter öffentlicher Förderprogramme für die Auftraggeber, die das Projekt für sie erst rentabel machen, sind auch diese Förderprogramme zu untersuchen.
Bei der Diskontierung der künftig zu erwartenden Erträge, die den Wert des Unternehmens ergeben, spielen die erwarteten Kapitalmarktrenditen eine Rolle. Diese setzt sich zusammen aus dem risikofreien Basiszins und einem Risikozuschlag, der branchen- und unternehmensspezifisch modifiziert werden muss. Aktuell (April 2024) ist indikativ von folgenden Werten auszugehen:
- Basiszins: 2,50 %
- Markt-Risikozuschlag (mittlerer Wert): 7,0 %
- Branchenspezifischer Risikozuschlag (= Markt-Risikozuschlag x Betafaktor):
7,0 % x 1,26 = 8,82 %
Daraus ergibt sich ein Gesamtzins von 11,32 % auf die zu erwartenden durchschnittlichen Erträge bzw. ein Diskontierungsfaktor von rd. 8,8.
Autoren: Wolf Achim Tönnes, Felix Noll – HLB Schumacher. Mai 2024
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