Das Institut der Wirtschaftsprüfer hat den Entwurf eines neuen Standards „IDW S 1“ vorgelegt, nach dem Wirtschaftsprüfer Unternehmen fachgerecht bewerten sollen. Umgekehrt heißt dies, dass die Beauftragung eines „S1 – Gutachtens“ diesem Standard genügen muss und – durchaus mögliche – Abweichungen hiervon bereits in der Beauftragung festgelegt, jedenfalls aber in dem Gutachten vermerkt werden müssen. Was also kann der Auftraggeber künftig erwarten?
Der alte Bewertungsstandard (S 1 alt) kannte drei Funktionen, in denen der Bewerter tätig werden konnte:
In der Funktion als neutraler Gutachter wird der Wirtschaftsprüfer als Sachverständiger tätig, der mit nachvollziehbarer Methodik einen von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert des Unternehmens – den „objektivierten Unternehmenswert“ – ermittelt.
In der Beratungsfunktion ermittelt der Wirtschaftsprüfer einen subjektiven Entscheidungswert, der z.B. angeben kann was – unter Berücksichtigung der vorhandenen individuellen Möglichkeiten und Planungen – ein bestimmter Investor für ein Unternehmen höchstens anlegen darf oder ein Verkäufer mindestens verlangen muss, um seine ökonomische Situation durch die Transaktion nicht zu verschlechtern.
- Schiedsgutachten /Vermittler
In der Schiedsgutachterfunktion wird der Wirtschaftsprüfer tätig, der in einer Konfliktsituation unter Berücksichtigung der verschiedenen subjektiven Wertvorstellungen der Parteien einen Einigungswert als Schiedsgutachter feststellt oder als Vermittler vorschlägt.
Der neue Standard schafft nunmehr die weitere Funktion des „neutralen Sachverständigen“. Der Unterschied zum „neutralen Gutachter“ soll inhaltlich darin liegen, dass der Sachverständige die der Bewertung zugrunde liegenden wesentlichen Annahmen und das Planungsmodell nicht mehr „vollumfänglich“, sondern nur noch „ausreichend“ plausibilisiert. Ausreichende Plausibilitätsbeurteilung bedeutet danach, dass dem Wirtschaftsprüfer bestimmte Informationen für die Beurteilung der wesentlichen Annahmen nicht zugänglich oder auftragsgemäß von ihm nicht oder nur in eingeschränkter Tiefe zu beurteilen sind, er jedoch insgesamt auf Grundlage der vorliegenden Informationen seiner Auffassung nach eine ausreichende Gesamtbeurteilung zur Plausibilität des sich ergebenden Unternehmenswertes (noch) vornehmen kann.
Wenn man davon ausgeht, dass die Beschaffung von Informationen über bestimmte Sachverhalte nur selten (objektiv) vollständig sein kann und ggf. spätestens an Beschaffungskosten scheitert, stellt sich die Frage, wie „vollumfängliche“ und „ausreichende“ Plausibilisierung voneinander abzugrenzen sind. Diese Frage ist umso mehr von Bedeutung als künftig Bewertungen mit nur „ausreichender“ Plausibilisierung nach Auffassung des IDW nicht mehr als „Gutachten“, sondern nur noch als „Stellungnahme“ abgegeben werden können. Fraglich ist auch, ob in Fällen der auftragsgemäß eingeschränkten Prüfungstiefe noch eine „Stellungnahme“ abgegeben werden kann; mindestens wird der Bewerter in diesen Fällen zu hinterfragen haben, aus welchen Gründen der Auftrag eingegrenzt wurde und ob dies die für erforderlich gehaltene Plausibilisierung einschränkt.
Ebenso geändert wurde die Funktion des „Beraters“. In der neuen Konzeption des S 1 hat der Berater nur noch eine unterstützende Funktion und ermittelt lediglich einen Wert in Anlehnung an die methodischen und rechnerischen Grundsätze der Unternehmensbewertung. Folglich kann das Ergebnis nur noch als (einfache) „Wertberechnung“ bezeichnet werden. Bisher verwendete Bezeichnungen wie „eingeschränkte Begutachtung“ oder „Gutachten in Anlehnung an IDW S1“ sind damit nicht mehr möglich.
Der Begriff des „subjektiven Unternehmenswertes“, der bisher mit der Funktion des „Beraters“ verbunden war, verwendet der neue IDW S 1 nicht mehr. An seine Stelle ist der Begriff des „plausibilisierten Entscheidungswertes“ getreten. Während beim „objektivierten Unternehmenswert“ die Bewertung aus der Sicht eines über die Verhältnisse des Unternehmens und des Marktes umfassend informierten („typisierten“) Eigenkapitalgebers vorgenommen wird, der hinsichtlich des Bewertungsobjektes keine anderen Interessen hat als seine finanzielle Beteiligung, wird bei dem „plausibilisierten Entscheidungswert“ die Sicht eines spezifischen, bekannten Investors unter Berücksichtigung seiner individuellen Möglichkeiten und Erwartungen als Eigenkapitalgeber in den Blick genommen. Dies entspricht zunächst dem „subjektiven Unternehmenswert“; neu ist aber, dass die in dieser Sicht zugrunde liegenden Annahmen und Planungen ebenfalls „vollumfänglich“ oder zumindest „ausreichend“ plausibilisiert werden müssen, um anschließend ein „Gutachten“ oder eine „Stellungnahme“ nach den oben genannten Grundsätzen abgeben zu können. Allein die Tatsache, dass der Bewertung individuelle (subjektive) Maßstäbe zugrunde gelegt werden können, führt also nicht dazu, dass diese nicht in sich geschlossen, nachvollziehbar und plausibel sein müssen. Reine „Wunschvorstellungen“ sind daher nicht bewertbar.
Die Schiedsgutachterfunktion spielt in diesem Konzept – wie auch schon bisher – keine gesonderte Rolle. Die „Vermittlung in einer Konfliktsituation“ muss ebenfalls auf der Grundlage einer – mehr oder weniger umfangreichen – Plausibilitätsbeurteilung erfolgen, um nicht die wissenschaftliche Fundierung zu verlassen. Ob diese Plausibilisierung dann vollumfänglich (Gutachten) oder nur ausreichend (Stellungnahme) erfolgt, ist Frage des jeweiligen Auftrages. Erfahrungsgemäß werden die streitenden Parteien auf einer vollumfänglichen Plausibilisierung bestehen, zumal wenn das Ergebnis für sie bindend sein soll.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Erstellung eines „Gutachtens“ zum Unternehmenswert nunmehr höhere Anforderungen an den beauftragten Wirtschaftsprüfer stellt, als dies bislang der Fall war. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass die Anforderungen an den Umfang, in dem der Wirtschaftsprüfer die Unternehmensplanungen und zugrunde liegenden Annahmen zu prüfen und zu bewerten hat, gegenüber dem bisherigen IDW S 1 zugenommen hat. In den – nicht seltenen – Fällen, in denen Auftraggeber bestimmte Annahmen über die Entwicklung des Unternehmens und die Unternehmensplanung als „gesetzt“ ansehen und deswegen auf eine vertiefte Plausibilisierung durch den Wirtschaftsprüfer verzichten wollen, kann ein „Gutachten“ nicht mehr erstellt werden, sondern es kommt allenfalls eine „Stellungnahme“ in Betracht.
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Autor:
Wolf Achim Tönnes – Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt, Of Counsel