Wolf Achim Tönnes

Bewertung zum Börsenkurs – Quo vadis BGH?

16. April 2025

Aktueller Stand der Rechtsprechung

Mit der Entscheidung des BGH vom 31.01.2024 in der Sache „Vodafone/Kabel Deutschland“ ist die Rechtsprechung zur Verwendung des Börsenkurses bei der Bewertung börsennotierter Unternehmen weiter zu einem vorläufigen Schlusspunkt gekommen.

Der BGH bekräftigt seine vorangegangene Entscheidung vom 21.02.2023 in der Sache „WCM“, wonach der Rückgriff auf den Börsenkurs einer Gesellschaft grundsätzlich eine geeignete Methode zur Schätzung des Unternehmenswertes sei. Zwar müsse im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz – unter Hinweis auf die BVerfG-Entscheidung aus 1999 in der Sache „DAT/Altana“ – die Abfindung der außenstehenden Aktionäre den „wahren“ Wert der Unternehmensbeteiligung ersetzen; hierfür sei jedoch eine bestimmte Methode zur Schätzung verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Der Börsenwert einer Gesellschaft sei daher grundsätzlich geeignet ist, sowohl deren bisherige Ertragslage als auch deren künftige Ertragsaussichten im Einzelfall hinreichend abzubilden. Dem liege die Annahme zugrunde, dass die Marktteilnehmer auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung im Börsenkurs der Aktien niederschlägt Die Heranziehung eines weiteren Bewertungsverfahrens – z.B. nach dem Ertragswertverfahren des IDW S 1 – sei nicht erforderlich.

Stellungnahme

Obwohl sich der BGH auf die BVerfG-Entscheidung aus 1999 ausdrücklich beruft, steht sie doch inhaltlich dazu im Widerspruch. Sie kollidiert auch mit Erkenntnissen der betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie und der Finanzwissenschaft und kann letztlich zu einer Benachteiligung außenstehender Aktionäre führen.

Sicht der Finanzwissenschaft

Es gehört zu den Grundlagen der finanzwissenschaftlichen Theorie, dass sich Investoren die Übernahme von Risiken vergüten lassen: für eine risikobehaftete Anlage verlangen sie eine höhere Verzinsung des eingesetzten Kapitals als für (quasi) risikofreie Anlagen. Die Höhe des mit der Anlage verbundenen Risikos ist aber auch abhängig von Art und Güte der Informationen zu dem Unternehmen und seiner zukünftigen Entwicklung. Daraus folgt, dass sich Unsicherheiten über die Entwicklung des Unternehmens im Börsenkurs einer Aktie widerspiegeln, da die Anleger die Unsicherheiten der künftigen Entwicklung berücksichtigen – und zwar Risiken stärker als Chancen. Umgekehrt ist die Folge davon, dass der Preis einer Aktie umso höher sein wird, je besser und je mehr Informationen über das zugrunde liegende Unternehmen zur Verfügung stehen, weil der Risikoabschlag auf den „wahren“ inneren Wert der Aktie zunehmend zurückgeht. Mit zunehmendem Umfang der Informationen nähert sich daher der Börsenkurs dem wahren Wert des Unternehmens an.

Zurückgehend auf Fama werden nach Art und Umfang der vom Markt verarbeiteten Informationen drei Ausprägungen einer „Informationseffizienz“ (des Marktes) unterschieden:

  • Bei der schwachen Form werden lediglich die Informationen über die vergangene Kursentwicklung im aktuellen Marktpreis berücksichtigt. Die Praxis versucht, sich dies als „technische Wertpapieranalyse“ nutzbar zu machen.
  • Unter mittelstrenger Informationseffizienz wird eine Situation verstanden, in der der Marktpreis alle öffentlich zugänglichen Informationen berücksichtigt. Dies schließt u.a. Informationen mit ein, die sich aus vergangenen Kursbewegungen gewinnen lassen. Jedoch werden hier zudem noch alternative öffentliche Informationsquellen wie Informationen aus der externen Rechnungslegung, Analysteneinschätzungen etc. einbezogen. Wir nennen dies „Fundamentalanalyse“.
  • Die strenge Informationseffizienz berücksichtigt darüber hinaus auch alle nicht öffentlich zugänglichen Informationen. Sie entspricht der Sicht eines Unternehmens-Insiders.

Ein streng informationseffizienter Markt existiert nur in der Theorie. Dies zum einen deswegen, weil der Umfang der „zugänglichen“ Informationen nicht definiert werden kann und zum anderen, weil die Kosten der Informationsbeschaffung stetig ansteigen und zu einem bestimmten Zeitpunkt diese Kosten den zusätzlichen Mehrwert des Unternehmens übersteigen werden. Mit dieser Einschränkung besteht jedoch Einigkeit in der Finanzwissenschaft, dass für die Ermittlung eines Unternehmenswertes alle verfügbaren Informationen heranzuziehen sind.

Die BVerfG-Entscheidung „DAT/Altana“

Der BGH erkennt die Ausprägungen der Informationseffizienz. Seiner Meinung nach ist jedoch nicht erforderlich, dass der Kapitalmarkt streng informationseffizient ist und alle prinzipiell zugänglichen öffentlichen und nicht-öffentlichen Informationen in den Kursen verarbeitet sind. Lediglich wenn im konkreten Fall von der Möglichkeit einer „effektiven Informationsbewertung“ nicht ausgegangen werden könne, sodass der Börsenkurs keine verlässliche Aussage über den Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaube, könne der Anteilswert nicht unter Rückgriff auf den Börsenkurs ermittelt werden.

Dies steht im Widerspruch zu der Entscheidung des BVerfG in der Sache „DAT/Altana“. Das BVerfG geht davon aus, dass dem Aktionär eine Entschädigung „zum wahren Wert“ zusteht vor dem Hintergrund, dass er gegen seinen Willen aus seiner Rechtsposition gedrängt wird, während der Hauptaktionär den Nutzen aus der Strukturmaßnahme ziehen kann. Dementsprechend könne die Entschädigung nur dann als „volle” bezeichnet werden kann, wenn sie den „wirklichen” oder „wahren” Wert der Unternehmensbeteiligung an dem arbeitenden Unternehmen unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts widerspiegelt.

Wenn der BGH auf die Einhaltung der strengen Informationseffizienz verzichtet, so blendet er einen Teil der den Unternehmenswert möglicherweise beeinflussenden Informationen aus und nimmt damit in Kauf, dass der vom BVerG geforderte „wahre Wert“ verfehlt wird. Folge dieser Situation ist, dass die Minderheitsaktionäre möglicherweise eine zu geringe Abfindung erhalten bzw. sich – mit den Worten des BVerfG – der Nutzen des Mehrheitsaktionärs aus der Strukturmaßnahme erhöht. Dies entspricht wiederum nicht der Sicht des BVerfG, das durch seine Gegenüberstellung von Entschädigungen zum Wohl der Allgemeinheit sicherstellen wollte, dass bei gesellschaftsrechtlichen Strukturmaßnahmen keine Partei zugunsten der anderen begünstigt wird. Die Wahrung der Interessen des ausscheidenden Minderheitsgesellschafters waren dem BVerfG so wichtig, dass es sie sogar als Voraussetzung für die Zulässigkeit des mit der Strukturmaßnahme verbundenen Eingriffs in die Grundrechte des Aktionärs bezeichnet hat.

Fazit

Unstreitig ist, dass weder ein Gesetz noch das BVerfG eine bestimmte Methode für eine Unternehmensbewertung vorschreiben, die den vom BVerfG genannten Grundsätzen gerecht wird. Es ist deswegen nicht ausgeschlossen, dass Bewertungen in bestimmten Fällen auf Börsenkurse gestützt werden können. Da Börsen aber i.d.R. nur eine mittelstrengen Informationseffizienz widerspiegeln, handelt es sich hier aus bewertungstheoretischer Sicht um Ausnahmen, die einer besonderen Begründung bedürfen. Anderenfalls besteht das Risiko, dass bei Strukturmaßnahmen die Abfindungen der außenstehenden Aktionäre zu niedrig ausfallen und damit gegen die Grundsätze der BVerG- Entscheidung verstoßen wird. Zwar ist dem BGH darin zu folgen, dass eine „strenge Informationseffizienz“ in der Praxis nicht erreichbar ist; dies kann jedoch nicht dazu führen, dass bestimmte Informationen unabhängig vom Aufwand für die Beschaffung grundsätzlich für die Bewertung nicht mehr herangezogen werden müssen. Auch wenn die Entscheidung des BVerfG „methodenoffen“ ist, wird hierdurch der Wahl der konkreten Methode eine Grenze gesetzt.

Bisher nicht erörtert sind Einflüsse der BGH-Rechtsprechung auf die Bewertung nicht börsennotierter Unternehmen. Misst man dem Grundsatz der mittelstrengen Informationseffizienz auch hier Bedeutung zu, könnte dies dazu führen, dass bei der Bewertung nur auf die Informationen zurückgegriffen werden muss, die der jeweiligen Partei zur Verfügung stehen und weiteres („Insider“) – Wissen nicht zu berücksichtigen ist. Dies könnte sich auch auf Synergiepotenziale erstrecken, die lediglich einzelnen Parteien bewusst sind. Damit käme es zu einem Rückschritt von der „objektivierten“ zurück zur „subjektiven“ Unternehmensbewertung.

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Autor:

Wolf Achim Tönnes – Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwalt, Of Counsel

 

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