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Wolf Achim Toennes Wirtschaftsprüfer Steuerberater Rechtsanwalt

Diplom-Kaufmann

Wolf Achim Tönnes

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Wolf Achim Tönnes

ESG in der Unternehmensbewertung

14. Dezember 2023

ESG in der Unternehmensbewertung

Einleitung

„ESG“ bezeichnet die drei auf Nachhaltigkeit bezogenen Verantwortungsbereiche eines Unternehmens:

Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/esg-kriterien-120056

Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Investment Banking und wurde erstmalig im Jahre 2004 geprägt, um es Finanzinstituten zu ermöglichen, im Rahmen von Anlagestrategien Unternehmen zu identifizieren, die langfristig nachhaltig wirtschaften können. Es war daher logisch, dass Unternehmen in der Folge begannen, sich an diesen Kriterien auszurichten, um Investoren auf sich aufmerksam zu machen.

Seither ist die Bedeutung von ESG für die Führung von Unternehmen stetig gestiegen. Verdeutlicht wird dies auch durch zunehmende (qualitative und quantitative) Anforderungen an die Berichterstattung zum Stand der Erfüllung der ESG-Kriterien, die in der „Corporate Sustainability Reporting Directive – CSRD“ der EU ihren (vorläufigen) Höhepunkt gefunden hat. Diese Richtlinie wird künftig (u.a.) alle großen Kapitalgesellschaften i.S.d § 267 III HGB unabhängig von der Kapitalmarktorientierung verpflichten, innerhalb des Lageberichtes einen Nachhaltigkeitsbericht („sustainablity report“) abzugeben, der sich maßgeblich nach den Vorgaben der einschlägigen „European Sustainability Reporting Standards – ESRS“ richten wird. Dabei ist der der (neue) Begriff „sustainabilityals Oberbegriff für alle ESG-Faktoren zu verstehen. Wichtig ist dabei, dass die Berichterstattung auf zwei Nutzergruppen abzielt: einerseits Investoren und Vermögensverwalter, andererseits „Akteure der Zivilgesellschaft einschließlich Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Sozialpartner“.

Im Jahre 2015 wurde eine Metastudie über den Zusammenhang zwischen ESG und finanzieller Performance veröffentlicht. Die Autoren analysierten mehr als 2000 empirische Studien und kamen damals zu dem Schluss, dass es „überwiegende Beweise“ für die Wirtschaftlichkeit von ESG- Investitionen gäbe und die Berücksichtigung von ESG-Kriterien beim Investieren im Durchschnitt keine Performance kostete. Es drängt sich deswegen die Frage auf, ob und wie sich ESG-Kriterien auf den Wert eines Unternehmens auswirken und demzufolge in der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen sind. Diese Frage ist auch deswegen interessant, weil es sich bei den ESG- Kriterien um „weiche“ Kriterien der nicht-finanziellen Berichterstattung handelt, während die Unternehmens-bewertung auf die Ermittlung eines „harten“ und eindeutigen Unternehmenswertes gerichtet ist.

 

Identifizierung von ESG-Faktoren

Die oben dargestellte Klassifizierung der ESG-Faktoren ist beispielhaft und daher einerseits weder abschließend noch andererseits vollständig auf jedes Unternehmen anwendbar. Vielmehr kommt es darauf an, diejenigen ESG Faktoren zu identifizieren, die Chancen oder Risiken für das zu bewertende Unternehmen und die Branche, in dem das Unternehmen tätig ist, beinhalten. Die Branche ist dabei deswegen bedeutsam, weil es solche gibt, die grundsätzlich als risikobehaftet im Sinne der ESG-Faktoren gelten.

Diese Aufgabe ist nicht neu. Jede Unternehmensbewertung beginnt mit einer Beurteilung des Geschäftsumfeldes, um die wesentlichen Werttreiber für die zukünftige Entwicklung zu bestimmen. Bei der Analyse der Tätigkeitsfelder, des Geschäftsmodells, der Geschäftsbeziehungen und der Wertschöpfungskette ist daher „lediglich“ ein zusätzliches Augenmerk auf die Nachhaltigkeit zu richten. Dies beinhaltet auch die Prüfung der Frage, ob das Unternehmen einen Prozess etabliert hat, mit dem die unternehmensrelevanten ESG Faktoren systematisch in Hinblick auf die möglichen Auswirkungen auf das Unternehmen identifiziert und auf Änderungen beobachtet werden. Die umfangreichen Berichtspflichten, die den Unternehmen künftig durch die ESRS auferlegt werden, werden hier Anknüpfungspunkte geben. Diese gilt es daraufhin zu untersuchen, ob sie potentiell Einfluss auf die künftigen finanziellen Überschüsse des Unternehmens haben.

 

Einfluss von ESG-Faktoren auf die finanziellen Überschüsse

Die Berücksichtigung von ESG-Faktoren oder die Erreichung von ESG-Zielen ist in der Unternehmensbewertung kein Selbstzweck. Es ist vielmehr zu beurteilen, welchen Einfluss diese Faktoren auf die künftig erwarteten finanziellen Überschüsse des zu bewertenden Unternehmens haben. Dies gilt sowohl für solche Faktoren, die extern auf das Unternehmen einwirken und auf die lediglich reagiert werden kann (z.B. gesetzliche Regulierungen, Umwelt/Klimawandel, Verfügbarkeit von Ressourcen, Reputation der Branche) wie auch für solche Faktoren, die als Teil der Unternehmensplanung durch die Geschäftsleitung aktiv gesteuert werden können.

ESG-Faktoren können sich unmittelbar auf die finanziellen Überschüsse auswirken, z.B. als

  • Änderung der Geschäftsmodelle, Umstrukturierung der Lieferketten;
  • Reduzierung oder Aufgabe einzelner Geschäftsbereiche, die künftig nicht mehr rentabel betrieben werden können;
  • Änderung der Nutzungsdauer von Vermögensgegenständen;
  • Änderungen im Produktmix, Nachfragerückgänge oder Kostensteigerungen;
  • zusätzliche Nachfrage durch umweltgerechte Produkte, Kostensenkungen (z.B. durch gesteigerte Energieeffizienz)
  • Kosten für die Einhaltung der ESG-Faktoren (z.B. auch infolge gestiegener Dokumentations- und Compliance-Anforderungen); ggf. drohende Bußgelder und Strafen;
  • Einschränkungen bei der Beschaffung von Eigen- oder Fremdkapital infolge des geänderten Verhaltens der Investoren.

Schwieriger zu bewerten sind die – i.d.R. langfristig wirkenden – Faktoren, die nur mittelbaren Bezug zu den finanziellen Überschüssen haben wie z.B.

  • Schaffung eines attraktiven Betriebsklimas; dadurch Attraktion qualifizierter Mitarbeiter, Verminderung der Fluktuation und des Rekrutierungsaufwands;
  • Verbesserung der Compliance; dadurch Verminderung künftiger Risiken aus Gesetzesverstößen und den daraus folgenden Konsequenzen;
  • verbesserte Kapitalmarkt-Kommunikation; dadurch leichtere Kapitalbeschaffung und/oder günstigere Konditionen

 

Umsetzung in der Unternehmensplanung

Betrachtet man die ESG-Faktoren lediglich als zusätzliche Werttreiber im Unternehmen so geben sich für die Planung der zukünftigen Überschüsse keine Besonderheiten; die Planung erfolgt „einwertig“ unter Berücksichtigung der Auswirkungen dieser Faktoren. Beachtenswert ist, dass diese Werttreiber i.d.R. zunächst zusätzliche Investitionen erfordern und die Erträge daraus sich erst langfristig zeigen. Dies kann Bedeutung für die Länge der Planungsperioden (Detailplanung und ggf. Grobplanung) haben und die „eingeschwungenen Zustand“ für den Beginn der „ewigen Rente“ zeitlich nach hinten verschieben.

Denkbar ist allerdings, dass die Auswirkungen der ESG-Faktoren so komplex und gravierend sind, dass ein neues Geschäftsmodell entsteht, das parallel zu dem bisherigen fortgeschriebenen Geschäftsmodell geplant werden muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Auswirkungen der langfristig wirkenden Faktoren in höherem Maße unsicher sind oder bei Eintritt bestimmter Faktoren der langfristige Fortbestand des Unternehmens in der bisherigen Form gänzlich oder teilweise in Rede steht. In diesem Fall muss „mehrwertig“ geplant und die einzelnen Modelle mit Wahrscheinlichkeiten versehen werden. Die Planung mittels „Monte Carlo Simulation“ ermöglicht hier die gleichzeitige Berücksichtigung beliebig vieler Geschäftsmodelle.

 

Kapitalisierungszins

Wenn die grundsätzliche Aussage zutrifft, dass nachhaltig wirtschaftende Unternehmen von Investoren bevorzugt werden oder Anlagerichtlinien Investitionen in Unternehmen mit schlechtem „ESG-Ranking“ verbieten, muss dies in transparenten Märkten Einfluss auf den Kapitalisierungszins haben. Die (verhältnismässig) höhere Nachfrage nach Investitionen in nachhaltige Unternehmen „drückt“ den gebotenen Zinssatz und erhöht damit den Unternehmenswert und umgekehrt. Das Problem besteht nun darin abzuschätzen, wieweit die ESG-Faktoren bereits in die am Markt beobachteten Zinssätze „eingepreist“ sind.

Im Rahmen des CAPM betrifft dies den sog. Betafaktor, der das Verhältnis des Risikos des konkret bewerteten Unternehmens zum allgemeinen Marktrisiko abbildet. Dabei spiegelt ein Betafaktor > 0 ein Risiko wieder, dass über dem Marktrisiko liegt; ein Betafaktor < 0 drückt ein geringeres unternehmensspezifisches Risiko aus. Die Vorstellung ist daher, dass ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen einen niedrigeren Betafaktor ausweist als ein gleichartiges, nicht nachhaltiges Unternehmen.

Wird für die Bewertung der unternehmenseigene Betafaktor herangezogen, sind die Auswirkungen der ESG-Faktoren in diesem Betafaktor möglicherweise bereits enthalten, wenn sie im Markt bekannt waren und sich damit auf die Bewertung ausgewirkt haben. Dies dürfte insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich hier um langfristig wirkende Faktoren handelt und das Unternehmen hierüber mit dem Markt kommuniziert. Insbesondere dann, wenn das Unternehmen – freiwillig oder auf Grund gesetzlicher Anforderungen – Nachhaltigkeitsberichte publiziert, kommt daher eine Anpassung des Betafaktors nicht in Betracht, sondern würde letztlich zu einer Doppelberücksichtigung der ESG-Faktoren führen.

Wird dagegen der Betafaktor anhand einer sog. „peer group“ gleichartiger Unternehmen bestimmt, muss bei der Auswahl der „peer group“ darauf geachtet werden, dass die einbezogenen Unternehmen gleichfalls nachhaltig im Sinne der ESG-Faktoren wirtschaften; in die Auswahl der „peer group“ fließt damit ein weiteres Kriterium ein. Dies führt unmittelbar zu dem weiteren Problem, wie die unterschiedlichen Nachhaltigkeits-Anstrengungen der Unternehmen zueinander gewichtet werden können, was erforderlich ist, um den numerischen Wert für die Anpassung der Betafaktoren zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist dabei auch dass bei der Wahl einer internationalen „peer group“ die Anforderungen an die Erfüllung der ESG-Kriterien und damit die „Hürden“ für das einzelne Unternehmen unterschiedlich hoch sein können. Damit dürfte auch hier eine Anpassung auf besondere Ausnahmen beschränkt sein und wird in jedem Fall einer ausführlichen Begründung bedürfen.

Darauf hinzuweisen ist, dass in der Berücksichtigung der ESG-Faktoren (auch) bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse keine Doppelberücksichtigung liegt, da hier unterschiedliche Sichtweisen eingenommen werden. Investoren würden bei Unternehmen mit identischen finanziellen Überschüssen dem nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen den Vorzug geben, da sie dort ein langfristig geringeres Unternehmensrisiko erwarten. Dies wird ausgedrückt durch eine Reduzierung des Betafaktors.

 

Ergebnis

Die Berücksichtigung von ESG-Faktoren ist für die Unternehmensbewertung eine zu bewältigende Aufgabe. In erster Linie ist hier das zu bewertende Unternehmen gefordert, seine Unternehmensplanung an Nachhaltigkeitsgrundsätzen auszurichten, was in der Regel ohnehin im Interesse des Unternehmens liegt – zumindest dann, wenn es an einem höheren Unternehmenswert interessiert ist. Anpassungen des Kapitalisierungszinses dürften dagegen nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Es ist zwar davon auszugehen, dass Investoren nachhaltig wirtschaftende Unternehmen honorieren und deswegen niedrigere Kapitalisierungszinsen akzeptieren. Ob und in welchem Umfang dies zu einer Absenkung des Kapitalisierungszinses – möglicherweise auch hinsichtlich des allgemeinen Marktrisikos – führt, ist gegenwärtig noch offen.

Die Kapitalisierung der künftigen Erträge führt bei niedrigen Kapitalisierungszinsen dazu, dass in der Zukunft liegende finanzielle Überschüsse prozentual stärker in den Unternehmenswert einfließen. Erfolgen daher Bewertungen in einem Niedrigzins-Umfeld, gewinnen die ESG-Faktoren wegen ihrer ebenfalls langfristigen Wirkung schon deswegen zunehmende Bedeutung.

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